
Ist Innovation planbar?
„Innovation lässt sich nicht in 5-Jahres-Plänen denken“
Marion Meyer, Chief Strategy & Innovation Officerin der BayWa AG, über Strategie als Rahmen in einer sich schnell wandelnden Welt.Marion Meyer hat die Entwicklung der BayWa in Richtung Internationalisierung, Diversifizierung, Digitalisierung und Innovation maßgeblich mitgestaltet. Zum 1. April 2023 verlässt die Chief Strategy & Innovation Officerin das Unternehmen, um eine neue Herausforderung anzunehmen. Höchste Zeit für ein Gespräch über ihre wichtigsten Erfahrungen aus über einem Jahrzehnt bei der BayWa.
Strategie und Innovation – sind das nicht eigentlich zwei weit voneinander entfernte Pole?
Marion Meyer: Das mag so wirken, wenn man Strategie als Ausführung von Fünf- oder sogar Zehn-Jahres-Plänen denkt. Und Innovation als Spiel, das von jungen Menschen mit bunten Turnschuhen abseits der Konzernwelten betrieben wird. Sollte solch ein Verständnis von Unternehmensführung jemals zeitgemäß gewesen sein, heute ist es das sicher nicht mehr. Ich begreife Strategie vielmehr als Rahmen für Erneuerung. Als Rahmen, der stützt, wo das nötig ist. Und an anderen Stellen Flexibilität lässt.
Gute Strategen betreiben in erster Linie Agenda Setting. Sie definieren konkrete Schwerpunkte, sie priorisieren, setzen Impulse. Und sie betrachten dabei vor allem auch das bestehende Geschäft und die von dort ausgehenden Entwicklungsmöglichkeiten. Im Ergebnis entsteht dadurch sowohl der Freiraum, um Opportunitäten wahrzunehmen. Aber auch Leitlinien, die davor bewahren sollen, sich auf jede Gelegenheit zu stürzen, mit den falschen Themen zu Zeit zu verbringen oder sich am Ende gar zu verzetteln. Eine passgenaue Strategie kann und soll als Inkubator fungieren. Sie ist im besten Sinne des Wortes nachhaltig.

Nachhaltigkeit – ist das nicht ein arg überstrapaziertes „Buzzword“, das für alles und jedes hinhalten muss?
Reduziert man sie auf ein „grünes Trendthema“, trifft das zu. Aber es steckt doch viel mehr dahinter: Der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen genauso wie die Verantwortung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Gesellschaft als Ganzes.
Für die BayWa als Grundversorger gilt diese breite Definition der Nachhaltigkeit wahrscheinlich noch mehr als für andere Unternehmen. Sustainability bedeutet, mit langfristiger Perspektive – also: im Kern höchst strategisch – zu handeln. Und dabei immer die Herausforderungen und Chancen in den Fokus zu nehmen und in konkrete Handlungsstränge überzuleiten.
Apropos langfristige Perspektive: Wie geht ein Unternehmen, das gerade stolze 100 Jahre alt geworden ist, mit den Realitäten einer sich immer schneller wandelnden Welt um?
Tiefgreifende Veränderungen begleiten die BayWa ja seit ihrer Gründung. Nehmen wir nur einmal die Entwicklungen in der Agrarwirtschaft,. Denken Sie nur daran, wie viel sich da in den einzelnen Jahrzehnten getan hat. Und welch große Herausforderungen in unserer globalisierten Welt noch vor uns liegen.
Die Begriffe „AgTech“, „FoodTech“ oder „Smart Farming“ hätte vor Kurzem kaum jemandem verstanden. Aber: Im Grunde war die große Mechanisierungswelle in der Landwirtschaft der 1950er Jahre der direkte Vorläufer dessen, was wir heute an Innovationen erleben. Hätten wir ausschließlich die Fahne des Traditionalismus hochgehalten, könnten wir im hundertsten Jahr unseres Bestehens wohl kaum solche Rekordergebnisse feiern.
Bei aller Begeisterung für die neuesten Entwicklungen muss einem allerdings auch klar sein, dass unsere Rolle die des Brückenbauers ist: Zwischen der Welt der Startups und Tech-Unternehmen und der unserer Kunden. Das beginnt bei der Wahl der Sprache und hört vor allem mit der Frage auf, was für die Anwender wirklich Sinn stiftet.
Sie sprechen es selber an: Das Unternehmen wird hier zulande als stark regional verwurzelt wahrgenommen. Man redet bayerisch, schwäbisch, sächsisch. Gleichzeitig waren Sie COO der niederländischen BayWa Tochter Cefetra und haben als Geschäftsführerin der BayWa Venture GmbH eng mit Gründern aus Israel und den USA gearbeitet …
Ja, genau. Ich bin davon überzeugt, dass die ganz große Stärke der BayWa ist, Gegensätze zu vereinen. Nicht auf ein „Entweder-Oder“ zu setzen, sondern ein „Sowohl-Als-Auch“.
Wir haben in den vergangenen Jahren den Wandel – vor allem die Diversifizierung und Internationalisierung – so stark wie nie zuvor vorangetrieben. Als Geschäftsführerin der BayWa Venture GmbH arbeite ich eng und mit großer Begeisterung mit internationalen Start-Ups zusammen. Auch wenn mancher bei Entwicklungen wie dem veganen Ei die Nase rümpfen mag und es bisher noch ein Nischenmarkt ist: Alternative Proteine und Technologien für ein nachhaltige Landwirtschaft unterstützen uns nicht nur dabei, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, sondern machen auch unsere Landwirtschaft auch in Deutschland, in Bayern, auf dem örtlichen Hof zukunftsfähig.
Welche Trends lohnt es, im Auge zu behalten?
Angesichts des Hypes um ChatGPT klingt es fast schon zu offensichtlich: Die Arbeit mit Daten wird immer beherrschender. Jetzt gilt es, smart mit den Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen umzugehen. Wir haben ein eigenes „AI Center for Excellence“ aufgebaut, das uns mit den nötigen Werkzeugen für den Umgang mit den neuen Technologien versorgt. Das Wissen vermittelt und vor allem zusammen mit den Fachbereichen Use Cases identifiziert und umsetzt, bei denen mithilfe von Daten Prozessabläufe beschleunigt und Entscheidungen verbessert werden können. Nur ein Beispiel: Eine optimierte Preisgestaltung im Landmaschinen-Gebrauchtmarkt..
Ich bin überzeugt dass wir künftig immer mehr Projekte sehen werden, die dem bereits erwähnten „Sowohl-Als-Auch“ Prinzip folgen: Etwa die Agri-PV, die landwirtschaftliche Flächen für die Nahrungsmittelproduktion und gleichzeitig die Stromerzeugung nutzt. Idealerweise wird die gewonnene Energie dann gleich vor Ort in intelligente Technik eingespeist.
Letztlich werden sich Entwicklungen durchsetzen, die unsere durchaus ambivalenten Lebensweisen im Hier und Jetzt bestmöglich spiegeln: Wir wünschen uns Automatisierung und Digitalisierung und sehnen uns gleichzeitig nach persönlichen Kontakten, Beratung und haptisch erfassbaren, qualitativ hochwertigen Produkten. Kein Zufall, dass die BayWa als Motto zum 100-Jährigen gewählt hat: „Wir vereinen Welten“.