Unten Kartoffeln, oben Photovoltaik
Wie Landwirte Früchte und Strom zugleich ernten
Solarstrom entsteht bislang vor allem auf Dächern und eigens ausgewiesenen Feldern. Inzwischen lassen sich landwirtschaftliche Produktion und Energieerzeugung auch kombinieren. Wie das aussieht und welche Möglichkeiten sogenannte Agri-PV-Anlagen bieten, verrät Stephan Schindele, Leiter Produktmanagement Agri-PV bei der BayWa r.e.Herr Schindele, wir stehen vor einer Apfelplantage in Gelsdorf bei Bonn, wir sehen junge Apfelbäume in Reihe und gut vier Meter darüber Solarmodule.
Das ist eine sogenannte Fruitvoltaic-Anlage, eine Sonderanwendung der Agri-Photovoltaik. Die Solarmodule über den Äpfeln sind lichtdurchlässig, der Landwirt kann also in Zukunft Obst und Strom auf der gleichen Fläche ernten.
Was bedeutet lichtdurchlässig?
Die Hälfte der PV-Modulfläche ist transparent, so dass ausreichend Licht die Bäume erreicht. Die andere Hälfte trifft auf Solarzellen und erzeugt Strom.
Wie kommen die Früchte mit der geringeren Lichtmenge zurecht?
Für die Äpfel hier sammeln wir noch Informationen, sehen bislang aber keine Nachteile. Bei einem unserer Tests in einer Himbeerkultur in den Niederlanden bekamen die Beeren im Schnitt 60 Prozent des möglichen Lichtes ab. Und trotzdem registrierten wir nur sehr geringfügige Ertragsminderungen. Auch die Qualität der Früchte litt nicht.
Der Anbauer dürfte durch die Verschattung Wasser sparen.
Ja, wegen der Verschattung verdunstet in Boden und Pflanzen weniger Feuchtigkeit, der Betrieb braucht so bis zu 40 Prozent weniger Wasser. Außerdem können Investitionen in den Kulturenschutz, zum Beispiel in Hagelschutznetze reduziert werden, weil die Module gegen Regen oder Hagel helfen.
Warum testen Sie gerade in den Niederlanden?
Das Land ist dichtbesiedelt, die Regierung will die vorhandene Fläche multifunktional nutzen. Diesen Wunsch sehen wir in vielen Ländern der Welt und immer mehr auch in Deutschland.
Aber muss ich denn auf die landwirtschaftliche Fläche gehen, wo Deutschland doch noch so viele Dächer ohne Photovoltaik hat?
Die Bundesregierung will bis zum Ende des Jahrzehnts 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien bereitstellen. Derzeit sind wir bei gut 40 Prozent. Der PV-Ausbau soll zur Hälfte auf Dachflächen und zur anderen Hälfte auf Agrarflächen erfolgen. Wenn wir nur auf Dachflächen installieren würden, wären die Kosten höher, der Ausbau nicht schnell genug und das Handwerk würde an seine Grenzen stoßen. Deswegen müssen wir auf landwirtschaftliche Flächen gehen. Die vier Prozent Ackerfläche, die Landwirte in der EU künftig für mehr Biodiversität stilllegen müssen, wären zum Beispiel schon ideal für Biodiversitäts-PV.
Was ist eine Biodiversitäts-PV?
In Projekten in Amerika integrieren wir gezielt Imker mit ihren Bienenvölkern in die Planung von Agri-PV-Anlagen: Unter den PV-Modulen entstehen Wiesen mit einheimischen Kräutern und Blumen, von denen die Bienen leben. Als Nebeneffekt bestäuben die Tiere die umliegenden Felder.
Aber in jedem Fall müssen Sie Licht auf den Boden lassen – und verlieren Fläche zur Stromerzeugung.
So ist es. Klassische Photovoltaikanlagen nutzen die komplette Fläche. BayWa r.e. verpflichtet sich, Vegetation zwischen den PV-Modulen zu ermöglichen. Weil es unter anderem gut für die Artenvielfalt oder den Grundwasserhaushalt ist.
So sinkt aber die Energieausbeute und die Anlage wird im Schnitt teurer, oder?
Richtig, aber Agri-PV erbringt Zusatznutzen, die bislang nicht ganzheitlich gewürdigt werden. Wir betrachten bislang den Stromertrag und den Nutzen durch Wasserersparnis, Kulturenschutz oder mehr Biodiversität getrennt. Ein Landwirt aber kann die Vorteile auf seinem Hof über alle Bereiche hinweg sehen: Durch das Verschatten mit unseren PV-Modulen hält er mehr Wasser im Boden. Er kann sich gegen Wetterextreme schützen, dem Artenschutz dienen und zugleich Strom erzeugen. Auch Regierungen sollten diesen umfassenden Nutzen besser würdigen, finde ich.
Die Idee für Agri-PV entstand schon 1981
Sie selbst haben am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg gearbeitet und dort die Entwicklung der Agri-PV mit vorangetrieben, ehe Sie zur BayWa r.e. kamen. Am Fraunhofer ISE hat die Idee von der Agri-PV ihren Ursprung, richtig?
Ja, der Physiker Adolf Goetzberger gründete 1981 das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg und publizierte die Idee von der Doppelernte: Gemeinsam mit Armin Zastrow schrieb er schon 1981 einen Text mit dem Titel „Kartoffeln unter dem Kollektor“. Goetzberger sah vorher, dass die Solarenergie eines Tages die günstigste Form der Energieerzeugung sein würde. Allerdings sah er auch die Flächennutzungskonkurrenz voraus und prognostizierte die Doppelnutzung von landwirtschaftlichen Flächen. Goetzberger verstarb am 24. Februar 2023 im Alter von 94 Jahren. Seine Idee vom Einklang zwischen Landwirtschaft und PV wird noch lange nachklingen.
Weshalb dauerte es noch fast 40 Jahre bis zum Umsetzen der Vision von Adolf Goetzberger?
Die Zeit war damals noch nicht reif. Heute sind wir genau an dem Punkt, an dem die Doppelnutzung anfängt Sinn zu ergeben. Die Kosten für PV-Anlagen sind gesunken und die PV lässt sich in immer mehr Oberflächen integrieren – beispielsweise auf Parkplätzen, in schwimmenden Solaranlagen auf industriell genutzten Gewässern oder eben im Rahmen landwirtschaftlicher Prozesse.
Welche Auswirkung hat das Errichten einer Agri-PV-Anlage auf vorhandene Prämien, die die Landwirtinnen und Landwirte für die betreffende Fläche erhalten?
Durch die Aufständerung geht ein gewisser Teil der Fläche verloren, der Gesetzgeber geht von maximal 15 Prozent aus. Wer gemäß eines definierten Agri-PV Standards baut, erhält deshalb für die überbaute Fläche 85 Prozent der Basisprämie beziehungsweise der Einkommensgrundstützung, wie sie seit 2023 heißt.
Wie geht es weiter mit Agri-PV?
Und wie wird der erzeugte Solarstrom derzeit gefördert?
Laut dem „Erneuerbare-Energien-Gesetz 2023“ bekommen alle Photovoltaikanlagen die gleiche Förderung. Hoch aufgeständerte Anlagen erhalten einen Technologiebonus von 1,2 Cent je Kilowattstunde. Allerdings bräuchten wir zum Beispiel hier in Gelsdorf 3,5 Cent Bonus, um die Anlage für den Landwirt und uns als Projektentwickler wirtschaftlich zu betreiben. Wir empfehlen der Politik deshalb statt einer Preisregulierung eine Volumenregulierung, also einen Topf, aus dem jährlich zum Beispiel 200 Megawatt hochaufgeständerte Agri-PV zu einem wirtschaftlichen Preis gefördert werden. Wenn das Volumen vom Markt ausgeschöpft wird und die Politik ein Erfolg ist, kann das Volumen schrittweise erhöht werden.
Die Anlage, vor der wir stehen, ist demnach noch nicht rentabel, richtig?
Hier in Gelsdorf testen und vergleichen wir den Obst-Kulturschutz, den Solarmodule bieten, mit dem von Hagelschutznetzen und Schutzfolien. Im Bereich Dauergrünland und Ackerbau können wir aber ab einer bestimmten Hektarzahl mit der neuen Förderung schon sehr kostengünstig und profitabel Agri-PV umsetzen. Interessant sind vor allem Dauergrünlandflächen, auf denen wir verschiedene Szenarien entwickeln können.
Welche Szenarien können entstehen?
In Frankreich planen wir die Umsetzung von Cowvoltaics-Projekten: Unter den PV-Modulen weiden die Kühe und finden im Sommer Schatten. Das Grünland unter der Anlage kann aber auch zum Heuschnitt verwendet werden. In einem anderen Projekt in Frankreich sollen auf 100 Hektar zwischen den PV-Modulreihen Bonsai-Eichen kultiviert werden: Die Bäume werden regelmäßig gestutzt, ihre Wurzeln aber breiten sich im Boden aus und bieten die Grundlage für Trüffelanbau im Halbschatten zwischen Eichen und Solarmodulen.
Agri-PV-Anlagen sind demnach, anders als Freiflächenanlagen, selten Standardanlagen.
Richtig, wir setzen uns immer neu mit den Bedürfnissen vor Ort auseinander. Wenn die Energiewende funktionieren soll, müssen wir lernen fachübergreifend zu denken und zu handeln. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Energiewende liegt in der Landwirtschaft, weil sie das größte Flächenpotenzial bietet.
Was muss noch geschehen, damit sich dieses Potenzial richtig entfalten kann?
Damit sich die Potenziale entfalten können und Landwirte von der Energiewende profitieren, müssen wir dringend die Baugenehmigungsverfahren beschleunigen. Zu viel Bürokratie und Überkontrolle ist ineffizient und der Dringlichkeit beim Klimaschutz nicht angemessen. Wir brauchen ein mutiges politisches Handeln und die lokale Umsetzung von Erneuerbaren-Energien-Projekten – egal ob auf dem eigenen Dach, auf unseren Parkplätzen und eben auch bei der Bäuerin oder beim Bauern nebenan.
Erfahren Sie bei den Kolleginnen und Kollegen der BayWa r.e., wie Sie mit einer Agri-PV-Anlage mehr aus Ihrer Anbaufläche machen und Nahrungsmittel und nachhaltige Energie zugleich produzieren können.