Ernte gut, alles gut?
Kein leichtes Jahr: Fehlt jetzt die Braugerste fürs Oktoberfest-Bier?
Es war keine einfache Saison für die Landwirtschaft. Erst zu trocken, dann zu nass. Die BayWa-Kolleginnen und -Kollegen in den Regionen haben alles gegeben, um in diesem speziellen Jahr die Silos zu füllen. Wie steht es um Menge und Qualität der Ernte in diesem Jahr? Im Interview zieht Jörg-Simon Immerz, Chief Trading Officer der BayWa AG eine erste Bilanz.Herr Immerz, mit welchen Herausforderungen haben Landwirte in der aktuellen Ernte zu kämpfen?
Die Ernte ist immer das Resultat aus einer gesamten Vegetationsperiode. Und die Vegetationsperiode 2023 war – sagen wir „speziell“. Durch ein nasses Frühjahr verzögerte sich schon die Frühjahrsaussaat. Gefolgt von einer langen Trockenperiode im Mai und Juni sorgte das für Trockenstress bei Weizen, Raps und Braugerste. Je nach Bodengüte mussten teils große Ertragseinbußen hingenommen werden.
Mitten in der Ernte dann das andere Extrem ...
... anhaltender Regen. Dieser konnte zwar in einigen Regionen die trockenheitsbedingten Ernteeinbußen abfangen, sorgte aber an anderer Stelle für deutliche Qualitätseinbußen bei Braugerste und Weizen. Dieses Zusammenspiel der Wetterextreme sorgte bei den Landwirten für viel Ungewissheit, Stress und eine angespannte Erntephase.
Wie würden Sie die Rolle der BayWa in diesem Zusammenhang beschreiben?
In unserer Kernfunktion sind wir ein Vermarktungspartner für die Landwirte. Unser Anspruch ist, dass der Landwirt jederzeit anrufen und seine Ware verkaufen kann. Das passiert teilweise auch schon Monate im Voraus, zur Preisabsicherung. Als finanzstarker Partner nehmen wir die Ware zuverlässig ab und stellen damit die Liquidität der Landwirte sicher.
Wir sind aber auch Berater und werden von den Landwirten gefragt, wie wir den aktuellen Markt einschätzen.
Oder wie sie mit schwierigen Wettersituationen umgehen sollen. Durch langjährige Geschäftsbeziehungen ist hier an vielen Stellen ein echtes Vertrauensverhältnis entstanden. Die Grundvoraussetzung ist dabei immer, dass der Preis stimmt und in den Markt passt. Auf der anderen Seite stehen unsere Kunden aus der verarbeitenden Industrie.
Hier ist unsere Hauptaufgabe, die Versorgungssicherheit zwölf Monate im Jahr sicher zu stellen.
Wir brechen damit die Erntespitzen auf und liefern Ware, wann und in welcher Qualität der Kunde sie braucht. In diesem Jahr haben wir zum Beispiel regional sehr unterschiedliche Qualitäten in der Ernte – als überregionaler Handelspartner gleichen wir diese hohen Schwankungen für unsere Kunden aus. Diese Entkopplung der Timings und die ausgleichende Funktion hinsichtlich Qualitäten legitimiert uns im Markt.
Wer ist bei der BayWa alles am Ernteprozess beteiligt?
Natürlich in erster Linie die gesamten Teams an den Betrieben: also Silomeister, Betriebsleiter und kaufmännisches Personal. Die physische Warenerfassung an den Standorten ist eine absolute saisonale Spitze. Hier muss innerhalb von wenigen Tagen eine riesige Menge an Getreide, Ölsaaten und Hülsenfrüchten erfasst, separiert und lagerfähig gemacht werden.
Auch unsere Vertriebler haben vor, während und nach der Erntephase viel zu tun. Sie führen die Preisgespräche mit der Landwirtschaft und klären, ob die Ernte verkauft, oder ob das Getreide bei der BayWa eingelagert werden soll. Zeitlich deutlich vor der eigentlichen Ernte legt das Team von Erzeugnisse Agrar die Basis für die Warenströme.
Jeden Tag beschäftigen wir uns zu 100 Prozent mit diesem Thema.
Denn unser Handel muss „end-to-end“ gedacht werden. Wir müssen unser Geschäft vom Bedarf unserer Kunden in der verarbeitenden Industrie bis zum Landwirt steuern und preislich bewerten. Und das muss dann auch umgesetzt werden, denn die zu liefernden Mengen werden oftmals viele Monate im Voraus gehandelt.
Um direkten Zugang zu allen für unser Arbeitsgebiet relevanten Märkten und Kunden zu haben, spielt auch das Netzwerk mit den Kollegen der BayWa Agrarhandel GmbH im Norden und grainli als Braugetreidespezialist eine entscheidende Rolle.
Die Teams arbeiten übergreifend, da muss ein Rädchen ins andere greifen.
Hinzu kommt ein komplexer Dispositions- und Logistik-Prozess. Der Großteil der Ware wird vom Landwirt an unseren Standorten angeliefert, Teile werden auch direkt auf den Höfen vor Ort angekauft. Der Transport von den BayWa-Silos zum Kunden, aber auch die Umlagerung von Ware innerhalb des BayWa Standortnetzwerks, wird von den Logistikteams getragen.
Das ist ein kontinuierlicher, paralleler Vorgang zum Erntegeschäft, der per LKW, Bahn und Schiff gemeistert wird. Was man oftmals nicht auf den ersten Blick sieht, ist die anschließende wichtige Arbeit, die im Backoffice läuft. Erst wenn alle Abrechnungen und Gutschriften erstellt sind, ist der gesamte Prozess durchlaufen.
Lässt sich aus Sicht der BayWa für dieses Jahr bereits einer erste Erntebilanz ziehen?
In unserem Arbeitsgebiet dürfte der Raps als Sieger vom Feld gehen. Er hat sowohl qualitativ als auch mengenmäßig überzeugt. Auch die Wintergerste war zufriedenstellend. Die zwei kritischen Kulturen, über die in den letzten Tagen auch viel diskutiert wurde, sind der Weizen und die Braugerste. Mengenmäßig hatten wir auch bei Weizen eine gute Ernte, die vergleichbar zu den vergangenen drei Jahren ist.
Was dieses Jahr aber unterscheidet, ist die extreme qualitative Streuung.
Das erzeugt am Markt große Preisdifferenzen. Beim Weizen sprechen wir bei den unterschiedlichen Qualitätsstufen im Extrem von Marktpreisdifferenzen im dreistelligen Eurobereich pro Tonne. Die Braugerste scheint die größten Probleme zu haben. Neben einer deutlichen Streuung in den Qualitäten, wurden hier zusätzlich teils sehr schlechte Erträge geerntet.
Für uns als Handelsunternehmen gilt: Eine Ernte, die in der Menge passt und in der Qualität streut, ist zwar herausfordernd bietet aber gleichzeitig Chancen.
Solange wir unsere Warenströme professionell steuern und unsere Kunden bedienen können. Darauf liegt aktuell der absolute Fokus. Es wird also weder beim Bäcker noch beim Oktoberfest-Bier Engpässe geben. Die Herbsternte mit Mais und Soja steht jetzt noch aus.