Ein Jahr im Getreidehandel

„Jedes Schiff, das wir handeln, wird sofort gebraucht“

Jan Jänsch und sein Team von der BayWa Agrarhandel (BAH) handeln mit Raps, Braugerste und vor allem Weizen aus dem Nordosten Deutschlands. Umgeschlagen werden die Erzeugnisse in den Häfen Mukran und Vierow, die zur Hälfte der BAH gehören. Ein Gespräch über das Jahr im Getreidehandel - den Getreidekorridor im Schwarzen Meer, die Rolle der deutschen Ackerbauern und den Unterschied zwischen Brot- und Aufmischweizen.

Herr Jänsch, die BAH exportiert Getreide über die Häfen Vierow und Mukran nach Europa und in die ganze Welt, zum Beispiel nach Kuba. Wie sieht der Weg des Weizens von Sachsen in die Karibik aus?
Wir haben im Osten Deutschlands viele Landwirte mit mehreren Tausend Hektar Fläche, deren Ernten wir bündeln. Manche bringen ihre Ware zum Beispiel an den Erfassungsstandort Reichenbach in Sachsen. Dort laden wir das Getreide auf sogenannte Ganzzüge mit 30 Waggons. Jeder Waggon fasst bis zu 70 Tonnen, ein ganzer Zug bis zu 2100 Tonnen.

Nach meinem Wissen handeln und exportieren Sie vor allem Weizen, richtig?
Ja, meist handelt es sich dabei um Weizen. Der beladene Ganzzug fährt nachts dann von Reichenbach an die Häfen: Ich spreche gern von unserem Nachtförderband an die Ostsee. In Vierow oder Mukran können mithilfe von Förderbändern und Elevatoren bis zu 8.000 Tonnen Getreide täglich auf Schiffe verladen werden. Die Schiffe der Panamaxklasse in Mukran fassen aktuell über 40.000 Tonnen.

Im trockenen Sommer 2022 hatten die Binnenschiffer wegen der niedrigen Flusspegel große Probleme. Waren Sie auch betroffen?
Das betraf vor allen Dingen die Kollegen der BayWa Agrarerzeugnisse, die einen großen Teil der Warenströme aus Südwestdeutschland auf Donau oder Rhein transportieren. Wenn wir von der BAH mit Binnenschiffen arbeiten, dann auf dem Mittellandkanal, der mithilfe von Pumpen schiffbar gehalten wird.

Das heißt?
Die Pumpen fördern Wasser aus Elbe und Weser in den Mittellandkanal.

Welche Rolle spielt der LKW als Transportmittel?
Die LKW-Logistik wird immer teurer, es mangelt an Fahrern. Aus unserer Sicht ist die Bahn im Kommen. Wir setzen beim Getreidetransport seit Jahren massiv auf die Schiene. Das wird auch so bleiben.

Wohin fahren die Schiffe mit dem Weizen von Mukran und Vierow aus?
In Vierow laden wir sogenannte Coaster, die Weizen nach Skandinavien, England oder Spanien bringen. Diese Schiffe transportieren vor allem Aufmisch- oder Eliteweizen, also bessere Qualitäten, mit denen sich Partien mit schlechteren Qualitäten aufwerten lassen. Über Mukran transportieren wir unter anderem auf Panamaxschiffen Brotweizen in die ganze Welt, zum Beispiel nach Kuba.

Was geschieht mit dem Brotweizen in Kuba?
Der geht direkt in Havanna vom Containerschiff in die Mühle, damit die Bäckereien Mehl zum Brotbacken haben.

Und was hat es mit dem Aufmischweizen auf sich?
Großbritannien zum Beispiel ist eine grüne, nasse Insel. Die Landwirte dort produzieren nicht immer die tolle, proteinreiche Getreidequalität, die sie benötigen. Zugleich essen die Briten gerne Toastbrot. Also brauchen sie proteinreichen Weizen aus Deutschland, mit dem sie ihr eigenes Getreide vor dem Mahlen des Mehls aufmischen.

Damit sie ihr geliebtes Toastbrot backen können.
Genau. Vielen ist es nicht so bewusst, aber wir haben hier in Deutschland mehr Sonne und ein hervorragendes Klima, um tollen Weizen anzubauen. Anders als in den USA, Australien oder Russland holen unsere Landwirte bis zu zehn Tonnen Weizen vom Hektar.

  • Bild von Jan Jänsch
    Jan Jänsch, Leiter Handel Getreide bei der BayWa Agrarhandel (BAH) in Nienburg
„Aus meiner Sicht sind wir sogar verpflichtet, so viel Getreide wie möglich zu produzieren“

Wie viel ist es in Osteuropa?
Die Kollegen dort steigern sich, stehen aber immer noch bei etwa 3,5 Tonnen Ertrag je Hektar. Wir müssen deshalb alles dafür tun, dass wir weiter auf dem Niveau produzieren können. Aus meiner Sicht sind wir sogar verpflichtet, auch mit dem Einsatz von Düngemittel, so viel Getreide wie möglich zu produzieren. Andere Länder profitieren davon. Die Kollegen der BayWa Agrarerzeugnisse transportieren etwa viel Aufmischweizen aus Thüringen und Bayern nach Italien. Wir bringen diesen Weizen aber auch nach Frankreich oder in den Westen Deutschlands. Dort wird er beigemischt, um zum Beispiel bestimmte Burgerpatties oder Baguettes zu backen.

Wie würden Sie das Getreidehandelsjahr 2022 beschreiben?
Wir haben einen politischen Markt. Die Preise stiegen wegen des Ukrainekrieges in teils extreme Höhen. Wir brauchten bis zu 50 Prozent mehr Geld, um die Ernte der Landwirte auf dem höheren Preisniveau kaufen zu können. Außerdem hatten wir ein proteinschwaches Jahr - unter anderem, weil die Landwirte am Dünger gespart haben. Auch die trockene Witterung sorgte für einen geringeren Proteingehalt und eine teils schwächere Ernte.

„Die Menschen in Afrika müssten auf Kalorien verzichten, was zu politischen Unruhen führen kann“

Wie hat der Krieg in der Ukraine die Handelsströme verändert?
Wir liefern derzeit aus Mitteleuropa Getreide nach Afrika, das sonst aus der Ukraine dorthin gekommen wäre. Von den 100 Prozent an Brotweizen, die wir sonst bis Ende Juni 2023 auf den afrikanischen Kontinent liefern würden, haben wir bislang schon gut 75 Prozent geliefert. Das heißt, es wird im Juni kommenden Jahres verdammt spannend, ob dann noch genug Brotweizen für Afrika vorhanden ist.

Martin Unterschütz leitet den Getreidehandel bei den BayWa Agrarerzeugnissen. Er sagte kürzlich in einem Vortrag, dass im Juni 2022 weltweit noch gut 80 Millionen Tonnen Getreide aus alter Ernte auf Lager waren – 30 Millionen Tonnen davon in der Ukraine und Russland.
Das ist völlig richtig. Wenn nicht mindestens ein Teil dieser 30 Millionen Tonnen aus der Ukraine rausgekommen wäre, wäre das sehr schlecht gewesen.

Im Juli 2022 wurde dann der sogenannte Getreidekorridor eingerichtet, der am 19. November nochmal um fast vier Monate verlängert wurde. Die Ukraine exportiert wieder Getreide.
Ja, im August gingen bereits 1,5 Millionen Tonnen Weizen über Odessa in die Welt, im September angeblich schon 3,9 Millionen Tonnen.

  • Logistik von Getreide
    Warum der Getreidetransport auf See so wichtig ist: Ein Schiff der Panamaxklasse fasst je nach Größe bis zu 60.000 Tonnen Getreide. Das entspricht in etwa der Transportkapazität von 2.000 LKW oder von 30 Güterzügen.

Was wäre geschehen, wenn das mit dem Korridor nicht geklappt hätte?
Dann hätten wir jetzt wahrscheinlich einen Getreidepreis von 400 statt 300 Euro je Tonne. Wir hätten das Getreide der alten und auch der neuen Ernte weiter über Land und auf Flüssen exportieren müssen. Eine mühsame Sache, weil die Kapazitäten begrenzt sind.

Welchen Einfluss hätte ein Preis von 400 Euro je Tonne auf unsere Nahrungsversorgung?
Die europäischen Mühlen könnten mit den höheren Preisen noch umgehen. Die Menschen in Afrika aber müssten auf Kalorien verzichten, was zu politischen Unruhen führen kann. Das haben wir in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder erlebt.

Viele Experten sagen, dass wir mit dem Getreide auf der Welt schon lange Zeit von der Hand in den Mund leben.
Das unterstreiche ich vollkommen. Wir ernähren heute acht Milliarden Menschen! Die weltweit erzeugte Getreidemenge ist nah an der Menge des weltweiten Verbrauchs. Jedes Schiff, das wir handeln, wird sofort gebraucht. Es gibt seit Jahren keine nennenswerten Vorräte an Getreide. Deswegen kritisiere ich auch unsere Bundesregierung, wenn sie den Einsatz von Kunstdünger limitiert. Wir müssen dankbar sein, dass wir ihn haben. Aus meiner Sicht sind wir im Sinne der Welternährung sogar verpflichtet, ihn einzusetzen - es erntet weltweit niemand diese Menge an Getreide in dieser hervorragenden Qualität.

BayWa Erzeugnisse Agrar und BayWa Agrarhandel

Während die BayWa Agrarhandel vor allem im Norden und Osten Deutschlands handelt und erfasst, arbeitet die BayWa Agrar Erzeugnisse vor allem im Westen und Süden. Die BayWa Agrarhandel ist eine 100-prozentige Tochter der BayWa AG.